Notizen aus meinem Reisetagebuch Thailand 2011

Wo ist die Mitte, es fehlt die Mitte im Bild. Die Mitte bin ich.
Immer wieder auf der Suche nach der Mitte. Immer diese Spannung.
Der Raum ist nicht das Problem, ist sowieso alles da, wie vorgegeben, immer wieder aufs Neue vorgegeben. Stellt sich nurmehr die Frage der Gestaltung.

Die Mitte, Zentrum, Ausgangspunkt für alles.
Zusammenhalt. Das Bild muss zusammengehalten werden.
Fast immer ist es ein langer Weg zur Mitte, immer wieder ein Öffnen des sich Selbst.

Habe einiges an zerbrochenen Korallen, die vom Meer angeschwemmt wurden, gesammelt – erinnert an unsere Tropfsteinhöhlen –, und unterschiedlichste Samenkapseln. Auch minutiöse Kokosnüsse, teils in verwesendem Zustand, gefunden.
Es ist da und auch schon wieder vergänglich.
Verschiedenste kleinste Schnecken in Rosatönen, abgebrochene Korallenteile mischen sich unter Samen, die verfallen, ihre Erotik preisgebend.
Rosa Tintenfische am Strand, habe ich vorher noch nie gesehen, wunderschön!
Interessante Blätter, die nach genauerer Betrachtung nicht von der Natur, sondern von angeschwemmten Erdölresten ihr so wunderbar getupftes Aussehen haben. […]
Müll versteckt sich überall, nein, gehört dazu […]. Fische, Vögel krepieren, weil sie sich von kleinen Kunststoffteilchen täuschen lassen, von denen sie sich ernähren möchten …
Und wo soll man da auf der Suche nach der Mitte landen? Naja, man könnte ja den Aufprall der Natur mit der Zivilisation als Mitte anerkennen – das geht wohl nur auf der Leinwand, ich kann sie mir reinholen, die Mitte: beides zusammenbringen, verbinden – aber will ich das?

Bildidee: Dunkler Kokosnusshintergrund; Flamboyantblüten übers Bild ziehend; Fischskelett (Kho Ngai) von links unten ins Bild ziehend; davor ins Bild fallende aufgeschnittene Zitrone (ausgepresst), umspült von Blüten (gefangen); Zitrone sich fügig machend …

Gegensätze verflechten sich ineinander, lösen sich ineinander auf, sind eins.
Mitte – Stärke
Verfall – Leben
zart – heftig
Stark – schwach
Globus – Weltall
Wurzel – Blatt, Blüte
Leben – Verfall
Liebe – Hass

Gelb kommt mit Graublau ziemlich in Fahrt. Grau gleich aus: Harmonie.
Ohne Gegensatz kein Ausgleich – fehlende Mitte – Vereinigung – Mitte – ständige Wiederholung … alles beginnt wieder von Neuem und immerfort, unabhängig vom Ort des Menschen oder der Pflanzen.

Die Mitte, verschoben, bedingt nicht das Zentrum.
Die Mitte kann überall passieren, das Zentrum im Bild ist kein Muss!
Der Bruch macht die Spannung im Bild und führt wieder zur Mitte, der Bruch führt zur Emotion und Emotion verbindet und Verbindung führt wiederum zur Mitte, für die die Verbindung lebensnotwendig ist.

© Karin Pliem, 2011. Zuerst publiziert in:
Karin Pliem. Auf der Suche nach der Mitte. Wien 2011, S. 24.