Fahlfarbige Blüten, zerstiebende Farben, wirbelnd ausgestreut und zu Formen verdichtet, bieten sie dem Schausinn ein Fest. In der Abfolge des Eintauchens von Bild zu Bild gleicht es einem Rausch, in dem uns Rhythmen des Wachsens sowie das Pulsieren von Farben und Formen selbstverloren tragen. Und wenn wir schwebend in die Gegenwart des Empfangens gerückt werden, so bewirkt die Malerei von Karin Pliem diesen Zustand aus sich selbst heraus. Sie erzeugt ein Rauschen, berauschend und rauschend zugleich; rauschend im Sinne von Schwebungen und Interferenzen, die sich zu Linien und Mustern verdichten, in Gegenständliches umschlagen, um dann wieder Farbmaterie, Malerei zu sein. In die bemalte Fläche eines Bildes gefasst, hat alles seinen Platz gefunden und erstarrte, auftrocknende Farbe fixiert Pflanzen, Tierstücke, Skulpturen im Park und überwucherte Bauten, die sich der Natur anverwandeln.
Inmitten und vor dieser floralen Pracht der Malereien lässt sich gut ein träumender Faun denken, wenn opak erscheinende Flächen sich öffnen und bei näherem Hinsehen gestisch nachempfundene Formen als getupfte Farbspuren sichtbar werden. Karin Pliem setzt Farben und Formen gegeneinander, Überlagerungen bildend, so, als würden verschiedene Schichten von Hintergründen zwischen Opazität und Transparenz wechseln. Dadurch erblühen mitten in den strichverwobenen Oberflächen wogende Farben, lassen getönte Flächen die Leinwand zur geäderten Haut werden, auf der sich Spuren, Abdrücke und Berührungen erhalten haben. Durchschimmernde Körper zeigen sich, die, vom groben Stoff der Leinwand umgeben, befreit an die Oberfläche des Sichtbaren drängen. Schleier und nebelhafte Unschärfe korrespondieren dabei mit der Bewegungsunschärfe des streunenden Blickes, der Orientierungspunkte sucht, dort, wo Malerei in Formen, die gegenständlich deutbar werden, umschlägt.
Und was passiert, wenn wir, wieder zu Verstand gekommen, die Malereien nur als profane Schaustücke sehen? Der träumende Faun sich als Windhauch erweist, der Gräser und Blätter zu flirrendem Rauschen und dem Atmen der Natur bewegt hat? Das sich nun, wieder wach, als an textilen Membranen kondensiertes Naturhaftes: Fleck, Abdruck, Wischspur, geäderte Flächen, Rinnspur, ausgestreute Farbe … zeigt? Sind es nur umrandete Formen, Linienspuren, die tropfenförmige Blütenblätter bündeln? Ohne eine Antwort abzuwarten, beginnen die Malereien uns wieder zu entrücken: Im Da-Hintergrund schimmern, wie von unten gegen eine halbtransparente Fläche rührend, Farben, mit flinken Gesten erfasst und gerahmt in Rot, Blau, Gelb, einen Kontrast bildend von zarter Tönung und vollem, begrenzenden Farbstrich. Blüten, die wirbelnde Farbblütenfächer bilden, Farbstrudel, ein Zentrum bildend, in einen Sog aus farbigem Gewoge mündend, … und fast wäre man versucht, in dieser Malerei mitsamt dem ganzen Körper in einer Gischt aus Farben und taktilen Reizen zu verschwinden, wäre da nicht auch ein Anderes, das nicht schwärmerisch schwärmend Erfasste: was zeigt sich noch? Fleisch und Tierhaftes, Schmutz, das, was wir in der Tiefe, unter der Membran unserer Haut körperlich wahrnehmen, im Dunkel des Körperinneren. Dieses Andere wird nun deutbar und zeigt sich als Paradox: das, was uns antreibt auszuschwärmen, berauscht, uns taumeln und schwelgen lässt, hat ihr dunkles Zentrum in der Schreckensstarre der abgewandten Seite dessen, was die Malereien im Lebensüberschwang feiern.
Mit etwas Abstand und wieder als Abfolge einzelner Malereien betrachtet, sehen wir verblassende Farben – verschiedene Stadien von Erblühen, Welken und in spröder Trockenheit zerfallende Formen. Staub, Blütenstaub und zerbröselnde Körper, über einen rauen Hintergrund gestrichene Kringel, Schleifengirlanden, die nur auf gewobene Leinwand abgestreifte Farben sind. Berührungsspuren der Malutensilien von Karin Pliem, oder ist es doch die Pigmentspur eines bereits fernen Körpers, die Pigmentreste eines Schmetterlingsfluges, dem Begleiter des träumenden Fauns, der mit seinen Flügeln vorbeistreifend ein MEMENTO MORI hinterließ, die Spur zermahlener Zeit, Formen auflösend, die zu Staub und Pigment zerfallen?
Durch die Alchemie der Farbzubereitung wird aus Staub gestaltbare Materie, so auch zur Farbe, jenem Material, mit dem Karin Pliem Lebenszeit und Bildhaftes verwebt. Wir haben in ihren Bildern deshalb auch einen anderen zyklischen Zeitverlauf vor Augen: den Zyklus von Tag und Nacht. Dieser bedingt ein Zeitmaß, das Jahreszeiten und Zyklen größeren Maßes erfahrbar macht, jene, die sich mit dem als natürlich empfundenem Wachsen und Vergehen verbinden. Und so schwingen wir aus, über einem Abgrund der abgewandten Leere und der endenden Zeit, beseelt vom Lebensübermut, den leuchtendes Rot und Gelb, violettschattig nachdunkelnd, befeuern. Wir durchstreifen taufrische, feucht gemalte Partien nässebeschwerter Blütenblätter. Sie glänzen feinstofflich, so als hätte Wasser eine zu Blüten geformte Textur gebildet, um Farbe als Aggregatzustand dieser Flüssigkeit erscheinen zu lassen, eingelagert und gespeichert, von Linien dicht umhüllt, damit sie der Dürre der Vergänglichkeit trotzen. Wir schwingen hoch, um von den Höhenflügen aus die Kunst zu sehen, die Malerei von Karin Pliem, die immer auch die Bedingungen ihres Funktionierens thematisiert.
* Vorabdruck eines Auszuges des Textbeitrags von Kurt Kladler zu: Graf&Zyx Foundation (Hg.), Karin Pliem / Boris Kopeinig. Strategische Komplemente II, Neulengbach: TANK 203.3040.AT, 2017.
Zuerst erschienen in: Karin Pliem: Symbiotic Unions, Hohenems–Wien–Vaduz: Bucher Verlag 2016, S. 33-35. ISBN 978-3-99018-387-8
© 2016 Kurt Kladler, Graf&Zyx Foundation, Bucher Verlag 2016