Mit der Entdeckung der Natur als Topos der künstlerischen Formulierung
im 19. Jahrhundert war stets die Idee verbunden, dass das „Natürliche“
an sich „schön“ sei. Die Natur
kann nichts Unschönes hervorbringen, ob Vegetation, Kristallformationen
oder Luftspiegelungen. Aus dem Vokabular des Naturschönen wurden Zitate
in die Kunst implementiert,
um damit Intention und Zielrichtung des ästhetisch orientierten
Schaffens zu legitimieren und mit Gefühlsvaleurs aufzuladen:
windzerzauste Bäume stehen für die zagende
Seele, goldene Sonnenuntergänge für Leben und Tod, Walddickicht für die
Wirrnisse der menschlichen Existenz und Blumen für den Glauben an den
Wandel von Vergehen und
Entstehen. Diesem Aspekt des Metamorphotischen aus dem Kontext einer
Romantik-Adaption widmete der Choreograph und Bildhauer Jan Fabre1 eine seiner umfassendsten
Bühnenarbeiten: Requiem für eine Metamorphose; für die
thematische Umsetzung der Allgegenwart von Tod und Auslöschung lässt er
seine Tänzerinnen in einem täglich
neu aufzuschüttenden Meer von Blumen agieren. Während der vielstündigen
Aufführung verändert sich die Wahrnehmung der Zuschauer von der Dominanz
des optischen
Wunderwerks der Tausenden blühenden Blüten hin zu einer im Theater eher
ungewöhnlichen Geruchssensation der vor sich hinwelkenden Pflanzenberge.
„Das Requiem ist aber auch eine Totenmesse für die Veränderungen der
letzten 30 Jahre, für den Tsunami, den Fall der Mauer, den Tod von John
Lennon oder Kurt Cobain,
all das, was uns sozialpsychologisch, politisch und kulturell verändert
hat“2, meinte Jan Fabre zur Konnotation des Stücks mit seinem persönlichen Leben.
Die verführerische Schönheit von Natur sieht sich also im Kunstkontext
einer intentionalen Funktion zugeordnet: bis in die heutige
Kunstproduktion erkennt man
Verlängerungen der Romantik mit dem Augenmerk auf dem Sentimentalen des
Naturschönen. Andererseits sind existenzielle und sozialethische
Anliegen mit der prekären
und gefährdeten Schönheit (d. i. Intaktheit) von Natur verknüpft. Wenn
Thomas Ruff3 in seinen verpixelten Landschaften die
Wahrnehmung des Gewachsen-Schönen
irritiert und verunklärt, so ist dies auch eine kritische Aussage zum
Umgang des Menschen mit den Ressourcen an intakten Bildern.
Das Persönliche und das Über-Persönliche
Indem Jan Fabre seine persönliche Geschichte und Erfahrung in einem
lebenden Blumenstillleben wieder auferstehen lässt, kündet das von einer
Verknüpfung des jeweils ganz
Eigenen mit dem Allgemeinen. Es ist wohl auch die eigene Handschrift, in
der von persönlichen Bildern und Erkenntnissen berichtet wird, für
andere von Relevanz und Interesse.
Der Theatermacher Oliver Reese hielt dazu in einem Gespräch über Thomas
Bernhards Auslöschung fest: „Ich glaube daran, dass in der Kunst das
ganz Persönliche, das Eigene
in seiner Artikulation den Menschen die Möglichkeit gibt, mit ihrer
eigenen Geschichte anzudocken. Ja, man fragt sich: Was interessiert das
Publikum, die Leser an dem so
Spezifischen einer Person? Es ist wohl etwas da, das mit ihrem eigenen
Leben zu tun hat.“4
Die Bilder aus Karin Pliems Malerei-Zyklus Concursus naturae haben etwas mit dem eigenen ikonischen Kosmos der Künstlerin zu tun, wenden sich aber auch ganz explizit an den Betrachter: sie sind keine Abbilder von konkreten Entwürfen aus der Natur oder Inszenierungen des Naturschönen, sondern sie sind gleichsam virtuelle Architekturen einer paradiesischen Vorstellung. Dass diese Idyllen, in deren schönen Schein man prima vista einzutauchen meint, nicht auf ewig halten, lässt sich an den Fehlstellen und Auslassungen, an den klandestin versteckten Anspielungen und spukhaft sich auflösenden Farbquallen im Bild ablesen: die ruhig in sich changierende Oberfläche atmet unter der gobelinartigen Struktur tief ein und aus – pulsierend wie ein Organismus, wesend wie vegetabiles Geflecht. Diese Fragilität alles Lebendigen auf der einen Seite und die verschwenderische Opulenz des Naturhaften auf der anderen haben etwas mit dem Menschlichen zu tun, mit dem jeweils eigenen Leben.
Schönheit als Konvention
„Die Kunstszene hat ein ambivalentes Verhältnis zur Schönheit, das sich
offenbar auch einem auf Vorurteilen beruhenden Trägheitsprinzip
verdankt“, konstatiert Martin
Seidl5 und meint mehr Unbekümmertheit bei Film, Theater, Mode
oder Werbung auszumachen – eine Sichtweise, die übrigens auch Umberto
Eco6 zu teilen
schien, für den sich außer Rothko und Manzoni kaum etwas in der Gegenwartskunst an Schönem finden ließ.
Der Begriff der Schönheit basiert auf einer Konvention, auf einer
gedanklichen und sprachlichen Übereinkunft, mittels der sich eine
Gesellschaft darauf einigt, was das „Gemeinsame“
an Phänomenen ist, die als „schön“ empfunden werden. Die Anschauung ist
also ein verhandelbarer Akt, jeweilige Schönheits-„Ideale“ korrelieren
mit dem Geschmack einer Epoche;
war es einmal das Wohlgefühl in Harmonie und ausgewogenen Proportionen,
so kann ein anderes Mal gerade das Heterogene, Disharmonische, nicht
Angepasste als „schön“ erkannt
werden, oder etwas Irritierendes, Verunsicherndes den Schönheitsbegriff
stärken.
„Bei Schubert ist das Schöne auch immer das Unerlöste“, erkennt Oliver
Reese hinter den biedermeierlichen musikalischen Lyriken von Franz
Schubert das Abgründige und
Unauslotbare der scheinbar so schönen Kompositionen. In den Bildern von
Karin Pliem lässt sich hinter der Schönheit der floralen Pracht ein
vages Wissen um die Vergänglichkeit
des Lebens erahnen. Ihre reiche Formulierung der Motive ist eine Art von
zeichnerischer Malerei, in der sich ein Kontinuum ablesen lässt, ein
Rapport, der zu Zentren und
Verdichtungen geführt wird. Die Schärfe des graphischen Lineaments und
der punktuellen Zeichensetzung kontrastiert mit dem
lasierend-changierenden Farbauftrag. Mit
Spirituoso con bravura7 ist gewissermaßen eine
Tempobezeichnung angegeben, eine Art Ausführungsanweisung wie in der
Musik: geistreich und brillant, mit Klugheit und
ohne Furcht – so entwickeln sich die Bildteppiche von Karin Pliem, ein
Gespinst, in dem Vordergrund und Hintergrund, Gemeintes und Gesehenes
miteinander verwachsen
und unter einer dichten Textur vibrieren.
Das „Unwirkliche“ in der Malerei darzustellen, war schon ein Anliegen
von Lovis Corinth, in dessen Blumenstillleben sich ebenso die Formen
auflösen zugunsten einer
freien bildimmanenten Struktur, einem Gemenge an bravouröser Gestik und
koloristischem Wagemut. In dieser geistigen Landschaft zwischen
ausdrücklicher Handschrift,
anspielungsreicher Zuwendung und innerlicher Untiefe sind auch die
malerischen Intentionen von Karin Pliem angesiedelt.
1 Jan Fabre, 1958 geb. in Antwerpen, bildender Künstler und Dramatiker, Tänzer, Regisseur und Choreograph. Requiem für eine Metamorphose konzipierte er für die
Ruhr-Triennale und die Salzburger Festspiele 2007.
2 Jan Fabre in einem Interview, in: Focus, München, 25. 8. 2007.
3 Thomas Ruff, 51. Biennale Venedig, 2005; Thomas Ruff, Markus Kramer, Modernism, Heidelberg: Kehrer Verlag 2011.
4 Gespräch am 28. 5. 2015 im Theater in der Josefstadt, Wien.
5 Martin Seidl, „Privileg und Vorurteil“, in: Kunstforum International, Bd. 191, 2008, S. 87.
6 Umberto Eco, Die Geschichte der Schönheit, München–Wien 2004.
7 Bildtitel, Spirituoso con bravura aus der Reihe Diversity of Voices, 2012, Öl/Leinwand, 200 x 250 cm.
* Margit Zuckriegl, „Das Naturschöne und das Kunstschöne“, in: Karin Pliem: Symbiotic Unions, Hohenems–Wien–Vaduz: Bucher Verlag 2016, S. 61-63 (d). ISBN 978-3-99018-387-8
© 2016 Margit Zuckriegl; Bucher Verlag