Wenn man – wie der Autor – etliche Jahrzehnte im Bereich der bildenden
Kunst gearbeitet hat und dabei das Kommen und Gehen von oft nur
kurzlebigen Tendenzen und Attitüden über sich ergehen lassen musste,
wird man – so man nicht vom unverbesserlichen oder naiven
Fortschrittsglauben erfüllt ist, wonach das Neue stets das Bessere sei –
in der Beurteilung dessen, was einem vor Augen kommt, vorsichtig,
zurückhaltend, oft auch skeptisch, bisweilen sogar unsicher sein, und
das trotz – oder gerade wegen? – langer Erfahrung. Unweigerlich stellt
sich die Frage, was nun wirklich Bestand haben wird, weiß man doch, dass
manches noch vor kurzem Spektakuläre im Schatten der Geschichte bereits
blass geworden oder gar schon verschwunden ist.
Künstler, denen das Aufspringen auf die gerade abfahrenden Züge der
diversen Avantgarden kein begehrenswertes Ziel darstellt und sich auf
den steinigen und meist einsamen Wegen einer dem eigenen Ich und nicht
dem Zeitgeist verpflichteten Kunst bewegen, müssen eine besondere
schöpferische Individualität entwickeln, auch zu einer spezifischen
Thematik finden, um im heutigen Kunstbetrieb wahrgenommen zu werden. Es
mag auch sein, dass sich traditionelle Formen der Ästhetik noch immer
als gültig erweisen.
Mit Karin Pliem begegnen wir einer bemerkenswerten Malerin, die in ihren
zuletzt [bis 2007, Anm. d. Red.] entstandenen Arbeiten Blumen und
Früchte mit kraftvoll-deftigen Farben zu bild- und raumgreifenden
Kompositionen arrangiert. Doch bereits die intensive, geradezu
expressive Farbigkeit dieser Bilder beseitigt jeden Verdacht, es könne
sich hier um eine Art unverbindlicher Naturmalerei handeln, um
friedfertige Stillleben in der Tradition viktorianischer Damen. Karin
Pliems monumentale Blüten und üppigen Früchte agieren raumgreifend vor
und in imaginären Landschaften und Szenerien, sie kreiert – wenn es das
gibt – selbstbewusste, beseelte Pflanzenwesen; oft mit klaffenden
Blütenkelchen und gerade wegen ihrer Schönheit nicht selten recht
bedrohlich. Pliems Blumen ähneln eher gefährlichem exotischem oder aus
der Tiefsee stammendem Getier als den üblicherweise friedfertigen
Spezimina aus dem Reich der Botanik. Man könnte auch an fleischfressende
Pflanzen denken, von denen bekanntlich eine morbid-erotische
Faszination ausgeht. Ohne in ihren Bildern etwas Konkretes an- oder
auszusprechen, weiß auch Karin Pliem, dass jede Kunst irgendwie mit
Autobiographie zu tun hat.
Als der Autor die neuen Bilder Pliems kennenlernte, wurde ihm, nicht
sofort, sondern erst nach einigem Nachdenken, jene merkwürdige Affinität
bewusst, die Pliems Arbeiten mit einer viel zu wenig bekannten,
bedeutenden österreichischen Malerin verbindet. In den Tierdarstellungen
der Grazer Künstlerin Norbertine Bresslern-Roth (1891-1978), die
bereits 1912 in der Wiener Secession Arbeiten zeigte und die in der
Zwischenkriegszeit weithin bekannt war, finden sich nicht nur formale
Parallelen, sondern auch eine vergleichbare Verselbständigung und
Beseelung der Naturmotive wie bei Karin Pliem, die jedoch bis vor kurzem
nichts von Bresslern-Roth wusste.
Verborgene Traditionen, auch wenn sie nicht sofort erkennbar an der
Oberfläche liegen, haben die Kunst stets mitbestimmt. Ob man will oder
nicht, bewusst oder unbewusst, man muss sich damit auseinandersetzen.
Wahrscheinlich sind diese vorhandenen Ströme genauso wichtig wie die
Suche nach dem immer spärlicher werdenden Neuland.
© Wolfgang Hilger, Wien 2007.
Zuerst publiziert in:
Karin Pliem. Wandlungen, Galerie Michitsch (Hg.), Wien 2007, S. 22f.